dunkelblauer Hintergrund mit der Aufschrift Tarifstruktur

Tarifstruktur

Zum Auftakt der siebten Runde stellen wir die Frage „Wozu braucht der deutsche Sicherheitsmarkt eigentlich eine Tarifstruktur mit über 450 Lohnarten in bundesweit 70 Tarifen?“

Im Interview mit:

  • Klaus Bouillon · Präsident des BVMS e.V.,
  • Michael Metz · Chief Operational Adviser und Ausbilder in der Frankfurter Niederlassung der Klüh Security GmbH,
  • Ute Kittel · Mitglied des Bundesvorstandes der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin und Fachbereichsleiterin „Besondere Dienstleistungen“,
  • Dirk Dernbach · Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG,
  • Bernd M. Schäfer · Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH,
  • Peter Haller · Geschäftsführender Gesellschafter der All Service Sicherheitsdienste GmbH


Eine kurze Einleitung:

Die neuesten Tarifverträge für das Wach- und Sicherheitsgewerbe wurden in einigen Bundesländern kurz vor Jahresende verhandelt. Die Reaktionen der Wachleute in den Sozialen Netzwerken sprachen Bände. Die Gemüter schienen geteilt zu sein – viele konnten sich weder über die Abschlüsse freuen noch ärgern. Der Grund? Ein undurchdringliche Tarifstruktur, die selbst erfahrenen Wachleuten Kopfzerbrechen bereitete.
Die Komplexität der neuen Regelungen und Bestimmungen machte es schwierig, die Auswirkungen auf die individuelle Situation jedes Einzelnen zu verstehen. Dies führte zu einer Mischung aus Verwirrung, Frustration und Unsicherheit in den Reihen der Sicherheitskräfte, die nun versuchen, die Tarifstruktur zu entwirren und ihre eigenen Interessen im Labyrinth der Vereinbarungen zu verteidigen. Die Diskussionen in den sozialen Medien spiegelten somit nicht nur die Ambivalenz gegenüber den neuen Tarifverträgen wider, sondern auch den dringenden Bedarf an Transparenz und Verständlichkeit in diesem komplexen Regelwerk.
Verwirrende Tarifstruktur: Wozu braucht der deutsche Sicherheitsmarkt eigentlich über 450 Lohnarten in bundesweit 70 Tarifen? Bewusste Intransparenz oder leicht zu handhabende Ansatzpunkte für Verhandlungsspielräume? Wäre aus Ihrer Sicht eine Reformierung sinnvoll? Wie könnte das aussehen?

Klaus Bouillon

Ehemaliger Präsident des BVMS e.V.
Die Ausbildungsstufen sollten den Tarif regeln
Die Gründung des Bundesverbands mittelständischer Sicherheitsunternehmen e. V. (BVMS) erfolgte unter anderem, da viele Sicherheitsunternehmen mit dem aktuellen Tarifdschungel unzufrieden waren und immer noch sind. In unserer Zeitschrift „Checkpoint“ haben wir das Thema Tarifpolitik behandelt und auch die Vorstellung des BVMS dargelegt. Wir vertreten die Auffassung, dass die Ausbildungsstufen (Unterrichtungsnachweis, Sachkundeprüfung, Geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft, Service- und Fachkräfte für Schutz- und Sicherheit) den Tarif regeln sollten. Somit hätten wir fünf (anerkannte) Ausbildungsstufen, die in jedem Bundesland als allgemeinverbindlich gelten sollten. Dazu sollte noch eine Leistungstabelle gehören, die bei speziellen Anforderungen angewendet werden kann. Ziel muss es sein, dass wir das Ausbildungsniveau in der Sicherheitsbranche und somit die Qualität erhöhen.

Dirk Dernbach

Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG
Differenzierung durch wenige Unterscheidungsmerkmale
Reformierung bedeutet ja: Neugestaltung und Verbesserung. Das babylonische Tarifsystem im Wach- und Sicherheitsgewerbe ist für kaum jemanden durchschaubar und bereitet durchweg Probleme. Angefangen damit, dass Angebote unter unterschiedlichen Voraussetzungen, sprich: Tarifeinstufungen, abgegeben werden, bis dahin, dass sich die Leute ungerecht behandelt fühlen, weil sie ihrem Verständnis nach falsch eintarifiert wurden. Ich würde mich freuen, wenn sich die Tarifgruppen durch einige wenige Unterscheidungsmerkmale differenzieren, die dann aber auch unstrittig formuliert sein müssten. Zurzeit klingt es manchmal abenteuerlich, wodurch sich eine Tarifgruppe von der anderen unterscheidet und sich dadurch Lohnunterschiede von wenigen Cent ergeben. „Keep it simple“ müsste man schon fast ausrufen. Aber es ist für die verhandelnden Parteien auch nicht leicht, alle Bedürfnisse derer, die sie vertreten, unter einen Hut beziehungsweise in eine Tarifgruppe zu bringen. Und selbst wenn es ihnen in ein paar Jahren gelingen sollte, wird eine Vielzahl der Betroffenen es nicht als Verbesserung empfinden.

Peter Haller

Geschäftsführender Gesellschafter der All Service Sicherheitsdienste GmbH
Vielzahl der Tarife macht es schwer, Einkäufern die Kalkulation zu erklären
Tarifverträge legen die Mindeststandards für alle wichtigen Einkommens- und Arbeitsstandards fest. Aus mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr nachvollziehbaren Gründen hat die Sicherheitsbranche über 450 Lohnarten in bundesweit 70 Tarifen. Es ist unumstritten, dass in einem Mantel- und einem Entgelttarifvertrag eine einheitliche Grundlage geschaffen wird. In der heutigen Zeit möchten viele Kunden von Sicherheits-Dienstleistern einen Einheitspreis für ihre bundesweit verteilten Liegenschaften. Jetzt versuchen Sie mal, dem Einkäufer zu erklären, wie Ihre Kalkulation zustande gekommen ist. Sehr schwierig. Bundesländer, die aneinander grenzen, haben nicht nur verschiedene Tariflöhne, sondern auch die tariflichen Zuschläge sind unterschiedlich. Hier muss man besonders darauf achten, wo der Mitarbeiter dann zum Einsatz kommt. Dadurch entsteht auch ein großer Aufwand bei der Lohnabrechnung. Mal sind es zehn Prozent Nachtzuschlag, mal fünf Prozent, mal ab 20 Uhr, in einem anderen Bundesland ab 23:00 Uhr. Es wäre wirklich erstrebenswert, hier eine einheitliche Regelung zu schaffen. Hier ist der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW) mit den Mitgliedern gefordert. Der Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen e. V. (BDLS) hat die Verhandlungen für einen bundeseinheitlichen Lohntarifvertrag gerade abgeschlossen.

Ute Kittel

Mitglied im ver.di - Bundesvorstand
Neben den Entgelttarifverträgen bedarf auch der Manteltarifvertrag einer Reform
Tarifverträge sind ein guter Gradmesser zu der Frage, wie sich die Anforderungen in einer Branche verändern. Insofern zeigt die genannte Anzahl der heutigen Lohnarten, dass es aus Arbeitgebersicht in der Vergangenheit bei der Eingruppierung eher darum ging, eine anforderungsbestimmte Bezahlung zu begrenzen. Der alleinige Blick auf die Lohnkosten wird aber zum klassischen Eigentor, wenn der Blick auf die Weiterentwicklung der Branche unter dem Vorzeichen der Digitalisierung erweitert wird. Denn sowohl die Qualifikationserwartungen der Unternehmen wie auch die psychischen und physischen Anforderungen werden künftig weiter ansteigen. Wer vor diesem Hintergrund motivierte Beschäftigte gewinnen beziehungsweise ans eigene Unternehmen binden will, braucht die Unterstützung eines sich aus diesen drei Anforderungssäulen bestimmenden Tarifvertrags. In diesem Sinne unterstützt die Gewerkschaft ver.di eine Reformierung der heutigen Entgelttarifverträge. Es muss aber in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass neben der Reform dieser Tarifvertragsart auch der Manteltarifvertrag einer umfassenden Reform bedarf. Eine zeitgerechte und lebensabschnittskonforme Tarifpolitik kann nicht mit Vereinbarungen der Vergangenheit für die Branche werben. Insofern ist die Reform der Tarifpolitik umfassend zu denken und anzugehen.

Bernd M. Schäfer

Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH
Ziel müssen Einheitlichkeit und Klarheit sein
Deutschland hat einen Tarifdschungel mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten zur Manipulation mit illegalen Absichten oder zur versehentlichen Anwendung eines falschen Tarifs. Die Folge sind Intransparenz und vollkommen überflüssige Differenzierungen nach Tätigkeiten und Zulagen, Betriebszugehörigkeit – und dies alles dazu noch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Keinem Branchenfremden mit durchschnittlichem Verstand kann der im Tarif geregelte Unterschied zwischen Pfortendiensten (Sicherheitsleistung) und Empfangsdiensten (keine Sicherheitsleistung) mit drei Sätzen erklärt werden. Problematisch ist dabei zudem, dass auch schlechte Haftpflichtversicherer ihren mangelhaften Versicherungsschutz nur gemäß Bewachungsverordnung bieten (Pfortendienste), aber den Versicherungsschutz für Empfangsdienste ausschließen, ohne dies offenzulegen. Das böse Erwachen kommt dann im Schadenfall. Deshalb muss die Forderung schlichtweg lauten: Einheitlichkeit und Klarheit durch Lichtung des Dschungels! Und gegen das Ermittlungsverfahren des Zolls eine passende Strafrechtsschutzversicherung.

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