Streikrecht

Zum Auftakt der zehnten Runde stellen wir die Frage „Wie bewerten Sie die Notwendigkeit, das Arbeitskampfrecht anzupassen?“

Im Interview mit:

  • Dr. Harald Olschok · Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft e.V. (BDSW) und der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW),
  • Isabelle Dichmann · Leiterin des Trainingszentrums der WISAG Sicherheit & Service Trainings GmbH,
  • Ralf Philipp · Leiter Marketing & Geschäftsentwicklung der CMD – Sicherheit und Dienstleistungen GbmH & Co. KG,
  • Gero Dietrich · Geschäftsführer der Vereinigung für die Sicherheit der Wirtschaft e.V. (VSW),
  • Julia Al Fawal · Geschäftsführerin der ToSa Security & Service GmbH & Co.KG,
  • Stefan Wegerhoff · Geschäftsführender Gesellschafter der SAW – Bildungszentrum NRW GmbH


Eine kurze Einleitung:

Streiks sind Arbeitgebern naturgemäß ein Dorn im Auge. Sobald sie daran rütteln, bekunden sie im gleichen Atemzug, dass den Beschäftigten das Streikrecht „selbstverständlich“ zustehe. So tat es auch jüngst der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft (BDSW), Dr. Harald Olschok. Im Blick hatte er die zwei bundesweiten Streiks in der Sicherheitswirtschaft (Werttransport/Luftsicherheit) Anfang des Jahres. Er konstatierte nicht weniger als eine „Geiselhaft“, in die die Streikenden die Kunden der Verbandsmitgliedsunternehmen nähmen. Interessierte Kreise ordnen den Luftverkehr der so genannten „Daseinsvorsorge“ zu, bei der Arbeitskampfmaßnahmen erhebliche Konsequenzen für die „Allgemeinheit“ hätten. Tatsächlich nimmt die Konfliktbereitschaft der Gewerkschaften zu. Deshalb mehren sich die Forderungen, den Arbeitskampf neu zu regeln. Mit dem BDSW erinnert daran ausgerechnet der Arbeitgeberverband einer Branche, die ihre Beschäftigten bei den Löhnen nicht gerade verwöhnt. Wie bewerten Sie die Notwendigkeit, das Arbeitskampfrecht anzupassen?

Isabelle Dichmann

Leiterin des Trainingszentrums der WISAG Sicherheit & Service Trainings GmbH
Nur als letztes Mittel im Arbeitskampf
Persönlich halte ich das Streikrecht für richtig und wichtig. Besonders in der „Daseinsvorsorge“ ist ein Streik häufig das einzige Mittel, um aufzeigen zu können, wie wichtig gewisse Tätigkeiten für unsere Gesellschaft sind. Hier spreche ich vor allem von solchen Tätigkeiten, die durch unsere Gesellschaft im Alltag nur geringe Wertschätzung erhalten. Dieser Mangel an Anerkennung äußert sich häufig in der Vergütung, aber auch im Ansehen gewisser Berufe. Dennoch bin ich auch der Meinung, dass ein Streik nur als letztes Mittel im Arbeitskampf initiiert werden darf. Die Verpflichtung auf vorangehende Schlichtungsverfahren und eine rechtzeitige Ankündigung sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Besonders in den Schlichtungsverfahren sollten alle beteiligten Parteien lernen, miteinander zu reden und nicht nur die eigenen Interessen zu vertreten. Nur auf diese Weise können faire Löhne – auch ohne Streiks – erzielt werden.

Gero Dietrich

ehemaliger Geschäftsführer der Vereinigung für die Sicherheit der Wirtschaft e.V. (VSW)
Ankündigung und Schlichtungsverfahren sind kein Ersatz für Kompromissbereitschaft
Die Streiks im Segment Geld- und Werttransport haben nach Ansicht der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) nicht zu gravierenden Einschnitten geführt. Seinerzeit sprachen auch die Finanzinstitute nicht von einer Versorgungsknappheit beim Bargeld. Insoweit sollte hier die „Geiselhaft“ ein wenig relativiert werden. Dennoch müssen dabei die immensen Kosten durch den Ausfall für die Arbeitgeber Berücksichtigung finden. Erhebliche Beeinträchtigungen hatten allerdings die Streiks an Flughäfen. Ob hier die Verhältnismäßigkeit noch vorlag, kann durchaus bezweifelt werden. Streiks sind denknotwendig gerade für die Arbeitgeberseite, aber ebenso für alle, die hiervon betroffen sind, eine unglückliche Situation. Diese Ultima Ratio ist die höchste Eskalationsstufe, die vermieden werden sollte. Hierfür ist aber die Bereitschaft beider Tarifparteien erforderlich. Das rechtzeitige Ankündigen von Streiks und ein vorheriges Schlichtungsverfahren sind durchaus geeignete Instrumente, die aber keinen Ersatz für Kompromissbereitschaft darstellen. Die Notwendigkeit einer Änderung im Arbeitskampfrecht ist meines Erachtens trotz allem derzeit nicht zwingend erforderlich.

Julia Al Fawal

Geschäftsführerin der ToSa Security & Service GmbH & Co.KG
Ein Streik bringt die Arbeitgeber doppelt in die Bredouille
Streik – die kollektive Arbeitsverweigerung, aktueller denn je. Lehrer sind verärgert, dass Schüler die Freitage auf den Straßen verbringen; Arbeitgeber und Kunden reagieren empört, wenn Arbeitnehmer ihre Arbeit fallen lassen und dadurch Flüge mangels genügendem Sicherheitspersonal ausfallen. Ein Streik gilt als Ultima Ratio und kommt auch derzeit nicht plötzlich. Zuvor muss die so genannte Friedenspflicht eingehalten werden und Verhandlungsrunden gescheitert sein. Ich sehe das Grundproblem in den immer höher werdenden Forderungen der Gewerkschaften, die zum Teil gar keine einvernehmliche Lösung zulassen, sodass sich der Einigungsprozess enorm in die Länge zieht. Zumal dann ein Streik die Arbeitgeber doppelt in die Bredouille bringt: Der Streik der Arbeitnehmer, der immer einen Ausnahmezustand mit sich bringen wird; und eine Forderung auf der anderen Seite, die gar nicht umsetzbar ist. An dieser Ausgangssituation wird auch eine Anpassung des Arbeitskampfrechts wenig ändern können.

Dr. Harald Olschok

1992 bis 2022 Hauptgeschäftsführer der BDGW und des BDSW. Heute ist er Mitglied des KÖTTER Sicherheitsbeirats.
Angemessener Interessensausgleich zwischen Tarifvertragsparteien und der Allgemeinheit
Anfang 2019 wurden Wertdienstleister drei Tage bestreikt, um völlig unrealistische Forderungen durchzusetzen. Im Interesse unserer Kunden sowie den Verbrauchern haben wir weit überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen zugestimmt. Mit 53 Prozent Zustimmung haben die Mitglieder ihre Meinung zum Abschluss deutlich zum Ausdruck gebracht. Kaum war dieser Streik beendet, riefen die Gewerkschaften an den großen Verkehrsflughäfen zu ganztägigen „Warnstreiks“ auf. Auch hier waren die Forderungen an die Mitglieder des Bundesverbands der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) – mit weit über 40 Prozent – völlig utopisch. Die Gewerkschaft ver.di streikt seit einem Jahrzehnt verstärkt in unserer Branche. Damit erzielt sie eine bundesweite mediale Aufmerksamkeit und wirbt damit massiv für neue Mitglieder. Die wirtschaftlichen Schäden für unsere Mitgliedsunternehmen halten sich in Grenzen: Wenn gestreikt wird, gibt es auch keinen Lohn! Aber Zehntausende von „unschuldigen“ Passagieren werden regelmäßig in „Geiselhaft“ genommen, Flughäfen und Fluggesellschaften massiv geschädigt. Die Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung hat einen eigenen Gesetzesvorschlag zu Arbeitskampfmaßnahmen in der Daseinsvorsorge vorgelegt. Dieser zielt auf einen angemessenen Interessensausgleich zwischen den Tarifvertragsparteien und der Allgemeinheit ab. Eine Grundversorgung der Bevölkerung muss sichergestellt werden. Ein Schlichtungsverfahren soll zwingend vorgeschrieben werden, bevor gestreikt wird. Arbeitskämpfe sollen nur dann zulässig sein, wenn sich mehr als die Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung für Streiks aussprechen. Wir schließen uns diesen Vorschlägen uneingeschränkt an. Streiks in der Bargeldversorgung beschleunigen den Umstieg der Konsumenten auf bargeldlose Zahlungsverfahren. Streiken die privaten Luftsicherheitskontrollkräfte, wird eine „Verbeamtung“ dieser Aufgaben gefordert. Das kann nicht im Interesse der Sicherheitswirtschaft und ihrer in diesen Segmenten tätigen Beschäftigten sein!

Ralf Philipp

Leiter Marketing & Geschäftsentwicklung der CMD – Sicherheit und Dienstleistungen GbmH & Co. KG
Ende der Gewinnmaximierung auf Kosten der Mitarbeiter statt Neuregelung des Arbeitskampfs
Ja, Streiks sind unbequem, ganz besonders für Arbeitgeber und Kunden. Wie sehr ein Streik den Kunden treffen kann, erleben wir regelmäßig im Bereich der Schiene und im öffentlichen Dienst. Hier ist unser tägliches Leben betroffen: Wir kommen nicht zur Arbeit oder wissen nicht wohin mit den Kindern. Gerne wird hier der Begriff der „Geiselhaft“ in den Mund genommen. Aber gerade hier ist das Verständnis der betroffenen Kunden auch groß. Wenn man also den Begriff „Daseinsvorsorge“ in den Raum stellt, sollte es genau an dieser Stelle sein. Bewegen sich die Gewerkschaften hier auf einem schmalen Grat? Ja, irgendwo zwischen Verständnis und Maßlosigkeit. Allerdings war das Verständnis der Kunden bei den Piloten und ihrer „Geiselhaft“ schnell erschöpft. Bei den zurückliegenden Streiks habe ich durchaus Verständnis und Erschütterung über die Höhe der Löhne in unserer Branche wahrgenommen. Brauchen wir im Bewachungsgewerbe eine Neuregelung des Arbeitskampfes? Ganz sicher nicht! Was wir brauchen, ist ein Ende der Gewinnmaximierung auf Kosten von Mitarbeitern, bei der die Mehrheit knapp über dem Mindestlohn bezahlt wird und 240 oder mehr Stunden schuftet, um das unternehmerische Risiko zu minimieren. Was wir brauchen, ist ein Ende des Preisdumpings und Ausschluss schwarzer Schafe aus dem Arbeitgeberverbänden. Weg von: „Was ist der letzte Preis?“, hin zu: „Das ist ein fairer Preis“.

Stefan Wegerhoff

Geschäftsführender Gesellschafter der SAW – Bildungszentrum NRW GmbH
Unterstützung ja, Ablösung nein
Zu den grundlegenden Rechten von Arbeitnehmern gehört gemäß BetrVG auch der Streik. Auch im Sicherheitsgewerbe stellt das Arbeitgeber wie Kunden oft vor große Probleme. Nicht besetzte Positionen ziehen häufig empfindliche Vertragsstrafen nach sich; verständlicherweise bemühen sich Arbeitgeber darum, das zu verhindern. Das sollte jedoch in erster Linie durch Wertschätzung der Mitarbeiter erfolgen – in welcher Form auch immer. Denkbar wären beispielsweise Gehaltsanpassungen, Weiterbildungsmaßnahmen sowie Zuschüsse zu sportlichen Aktivitäten. Grundsätzlich hat sich das Lohn- und Gehaltsgefüge im Bewachungsgewerbe schon zum Positiven verändert – nicht zuletzt durch die bisherigen Arbeitskampfmaßnahmen. Letztlich ist es jedoch erforderlich, dass Arbeitnehmer ohne angemessene Vergütung Arbeitskampfmaßnahmen folgen. Auf ein offenes Ohr treffen sie leider derzeit nur, sobald dem Arbeitgeber ein Schaden droht. Die Notwendigkeit, geltendes Recht an die Belange von Arbeitgebern anzupassen, besteht meines Erachtens keineswegs. Geltende Grundlagen schützen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer zugleich vor unverhältnismäßigen Maßnahmen.

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