Beiger Hintergrund mit der Aufschrift Fach- und Sozialkompetenz

Fach- und Sozialkompetenz

Zum Auftakt der dreiundzwanzigsten Runde stellen wir die Frage “Welche (neue) Rolle sollte Fach- und Sozialkompetenz im Sicherheitsgewerbe spielen – bei den Mitarbeitern, aber auch, was gerne übersehen wird, bei den Führungskräften?“

Im Interview mit:

  • Michael Wronker · Vizepräsident des BVMS e.V.,
  • Michael Metz · Betriebsleiter Security (Bereich Süd) der ISS Communication Service GmbH,
  • Christine Behle · Stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin, und Leiterin diverser Fachbereiche, darunter „Besondere Dienstleistungen“,
  • Marcus Karallus · Leiter des Akademiebetriebs der Power Akademie GmbH,
  • Dirk Dernbach · Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG,
  • Bernd M. Schäfer · Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH.


Eine kurze Einleitung:

Im Zuge der Corona-Regelungen trifft man einerseits weiterhin vielerorts auf jede Menge Vertreter des Sicherheitsgewerbes, die jeglichem Klischee vom schmuddeligen, unqualifizierten „Wach-Heini“ entsprechen, beispielsweise bei der Einlasskontrolle vieler Discounter. Andererseits hat die Krise und die damit verbundenen Zwangspausen gerade mittelständischen Sicherheits-Dienstleistern die Gelegenheit gegeben, über ihre Geschäftsmodelle, ihre Organisation, ihre Fach- und Sozialkompetenz und das Auftreten ihrer Mitarbeiter nachzudenken.
Dabei hat manche Firma die Erfahrung gemacht, dass sich – Überraschung! – mit Qualitätsdienstleistung Neugeschäft generieren lässt, von dem nicht zuletzt auch die Mitarbeiter in vielerlei Hinsicht profieren. Man könnte etwas polemisch von der „Entdeckung der Fach- und Sozialkompetenz“ sprechen.
Welche (neue) Rolle sollten die Fach- und Sozialkompetenzen im Sicherheitsgewerbe spielen – bei den Mitarbeitern, aber auch, was gerne übersehen wird, bei den Führungskräften?

Christine Behle

Stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin, und Leiterin diverser Fachbereiche, darunter „Besondere Dienstleistungen"
Dringender Nachhilfebedarf beim Führungsverhalten
Gute und erfolgreiche Sicherheits-Dienstleistung zeigt sich besonders dann, wenn sie nicht zu sehen ist. Insofern ist die öffentliche „Entdeckung der Fach- und Sozialkompetenz“ bei den Beschäftigten der Branche zu Corona-Zeiten ein Zeichen dafür, wie erfolgreich die tägliche Arbeit in den letzten Jahren bereits gelaufen ist. Die jetzt entdeckten Werte sind aber nicht neu, sondern vielmehr schon seit langem Grundbedingungen für eine erfolgreiche Dienstleistungsarbeit. Was für die Beschäftigten schon lange gilt, lässt sich so nicht auf den Führungsbereich übertragen. So berichten in einer von ver.di durchgeführten Befragung 82 Prozent der Befragten in der Sicherheit, dass ihr Arbeitgeber ihnen keine oder nur geringe Hilfe bietet, um aggressives Verhalten von Dritten zu bewältigen. 73 Prozent der Befragten bekommen durch ihre Vorgesetzten keine oder nur geringe Wertschätzung für die tägliche Arbeit. Dies sind nur zwei Beispiele, die deutlich machen, dass die Branche dringenden Nachhilfebedarf beim Thema Führungsverhalten hat. Denn trotz des wachsenden Einzugs von Digitalisierung in die tägliche Arbeit bleiben qualifizierte und sozialkompetente Beschäftigte wichtigster Garant für eine gute Performance. Ein autoritärer Führungsstil wird diesen Anforderungen nicht gerecht und macht die Branche auch nicht attraktiv für Interessierte. Deswegen ist die Ausbildung und Einstellung sozialkompetenter Führungskräfte einer der wichtigsten gegenwärtigen Aufgaben für die Sicherheitsunternehmen.

Dirk Dernbach

Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG
Alle Wege – auch die der Kompetenz – führen zum Preis
Zum wiederholten Mal signalisiert der Fragesteller uns Sicherheits-Dienstleistern, dass wir alles irgendwie verkehrt machen. Natürlich ist Spezialisierung auf ein bestimmtes Gebiet der Sicherheits-Dienstleistung inklusive entsprechender Fachkompetenz eine tolle Sache. Die Frage ist jedoch, ob es ein Alleinstellungsmerkmal in unserer Branche gibt, das diese Spezialisierung interessant macht. Oder hat der Sicherheits-Dienstleister „halt irgendwie“ und „eher zufällig“ die Bewachungsaufträge für drei Museen akquiriert und verkauft sich nun als Spezialist für Museumssicherheit mangels weiterer Verkaufserfolge? Vielleicht generiert er daraus sogar einen guten Ruf, der ihm weitere Aufträge mit guten Verrechnungssätzen beschert. Bis zu einer überschaubaren Personalgröße durchaus denkbar. Aber was passiert, wenn er diese Spezialaufträge wieder verliert – was in unserer Branche ja immer wieder vorkommt? In Zeiten von Corona fällt mir der Vergleich mit dem Koala leicht. Der frisst ausschließlich Eukalyptus und hat dadurch keine Fressfeinde, die ihm das Futter streitig machen. Gehen die Eukalyptusbäume aber ein, würde er sich bestimmt wünschen, ein Allesfresser zu sein. Insofern hoffe ich, dass sich auch jene Kunden wieder an ihre Dienstleister erinnern, die sich auf Events, Messen, Flughäfen usw. spezialisiert haben und, sofern sie die Krise überleben, sich nicht wieder bei der kommenden Tariferhöhung um Preiserhöhungen von zwei Prozent streiten. Generell kann ich nur begrüßen, wenn man sich auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld konzentriert und dort die Qualität nebst Fach- und sozialer Kompetenz hochschraubt. Und hinsichtlich der polemischen Aussage, die ich gar nicht als polemisch empfinde: Wir haben gute Leute, und wir können sie noch kompetenter machen. Letztlich geht es aber ums Geschäft, mit dem wir Geld verdienen müssen – und wollen. Deshalb kommt es auch in diesem Zusammenhang mal wieder darauf an, ob der Kunde bereit ist, dieses Investment finanziell mitzutragen.

Marcus A. Karallus

Leiter des Akademiebetriebs der Power Akademie GmbH
Die Sozialkompetenz der Belegschaft stärkt den einzelnen Mitarbeiter
Die „Entdeckung“ der Fach- und Sozialkompetenz spiegelt sich tatsächlich in vielen Leitbildern der Bewachungsunternehmen wider. So wird mittlerweile von einer Kooperation auf Augenhöhe zwischen Mitarbeitern und Führungskräften gesprochen beziehungsweise geschrieben. Demnach ist jeder Mitarbeiter auf einer professionellen sowie bewertungsneutralen Ebene anzusprechen und dementsprechend zu behandeln. Dies sollte die Führungsspitze mit einem verantwortungsvollen Umgang gegenüber allen Mitarbeitern vorleben. Wenn dies gelingt, steht der Personalentwicklung durch Fort- und Weiterbildung nichts mehr entgegen, sondern wird von den einzelnen Mitarbeitern gerne angenommen. Die neuen Fachkenntnisse aus Seminaren und dokumentierten Abschlüssen, beispielsweise von Industrie- und Handelskammern, unterstützen den serviceorientierten Dienstleistungscharakter und helfen dem Mitarbeiter bei der Umsetzung moderner Sicherheits-Dienstleistungen. Die soziale Kompetenz der Belegschaft geht mit der Stärkung der individualpsychologischen Entwicklung des einzelnen Mitarbeiters einher. So sollte stets Raum für Weiterbildung, besonders in Sachen „Umgang mit Menschen“, eingeräumt werden. Ausbildungsleiter in der Sicherheit sollten nicht nur in Sicherheitsberufen beschlagen sein, sondern auch Erfahrungen als Aus- und Weiterbildungspädagoge haben. Wünschenswert wären darüber hinaus Kenntnisse als Berufspädagoge oder aus Lehrtätigkeit. So kann sehr fein nachjustiert und damit sowohl dem Kunden- als auch eigenem Anspruch Genüge getan werden. Auch die Fach- und Sozialkompetenz kann, gemäß Qualitätsmanagement, weiterentwickelt werden.

Michael Metz

Niederlassungsleiter Rhein-Main & Niederlassung Süd bei Apleona Security Services
Krisen sind Impulsgeber dafür, die eigene Positionierung zu überdenken
In den letzten Jahren haben sich im Sicherheitsgewerbe höherwertige Qualifikationen durchsetzt. In einigen Bereichen gingen diese jedoch bei starken Quantitätsanforderungen oft zu Lasten der Qualität. Die Corona-Krise und die damit verbundene starke Nachfrage nach zusätzlichen Sicherheitsleistungen in vielen Wirtschaftszweigen zeigt diese Problematik erneut auf. Es gibt zu wenig verfügbares qualifiziertes Sicherheitspersonal, da es weder angemessen bezahlt noch gesellschaftlich gefordert wird. Augenblicklich ist zu erkennen, dass der Bedarf an qualifiziertem Personal mit der Weiterqualifikation im Bereich „Safety“ (Gesundheitsschutz) angestiegen ist, da aufgrund der gesetzlichen Hygienebestimmungen (Ansteckungsgefahr) die Arbeit der Sicherheitskräfte unter erschwerten Bedingungen erfolgt. Ich wünsche mir mehr Wertschätzung für die im Sicherheitsgewerbe tätigen Mitarbeiter, denn sie leisten einen sehr großen Beitrag für die Sicherheit und Gesundheit der Gesellschaft. Es sollte bessere Standards für die Gründung eines Sicherheitsunternehmens geben, wie den Nachweis eines festgelegten Qualifikationsniveaus der Führungskräfte. Jeder Unternehmer und fachliche Vorgesetzter sollte die vorhandenen Qualifikationen im Sicherheitsgewerbe kennen, um einschätzen zu können, ob die Qualifikation seiner Mitarbeiter für eine auszuführende Tätigkeit ausreichend ist. Krisen verändern Strukturen und sind damit Impulsgeber, die eigene Positionierung zu überdenken und neue Strategien und Lösungen zur Krisenbewältigung zu erarbeiten. Wie soll zum Beispiel das dringend benötigte Sicherheitspersonal ausgebildet werden, wenn keine Schulungen mehr angeboten und auch keine Prüfungen abgelegt werden? Hier ist Kreativität bei der Ausbildung und auch bei den Prüfungen gefordert. Flexible Lösungen sind gefragt – beispielsweise eLearning oder virtuelle Prüfungen –, die aber nicht zu Lasten der Sicherheit und der Qualität gehen dürfen.

Bernd M. Schäfer

Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH
An der Bezahlung messen – so einfach ist das!
Es gibt in der Sicherheitswirtschaft eine Vielzahl von motivierten und interessierten Mitarbeitern, die jeden Tag ihren Dienst machen – und das auch noch gut. Wesentliche Stellschraube für das zur Verfügung stehende Personal ist das Entgelt, was jeder für seine Arbeitsleistung erhält. Ist dieses attraktiv, kommen auch genügend „smarte“ Mitarbeiter, die mit Sozial- und Fachkompetenz glänzen können. Diese Mitarbeiter kommen aber nicht, wenn es anderswo besser bezahlte Stellen mit einem noch besseren Ansehen gibt. Wenn man sich als Auftraggeber darüber beschwert, dass die Mitarbeiter am Eingang des Baumarkts nicht den Erwartungen entsprechen, dann sollte man sich fragen, woran das auch liegt: Verdient ein Verkäufer (!) im Baumarkt bei einer 38-Stunden-Woche (1.672 Stunden pro Jahr) in Deutschland im Durchschnitt rund 2.400 Euro im Monat, so verdient der an der Tür stehende Sicherheitsmitarbeiter bei gleicher Stundenzahl ein Viertel weniger. Also steht da jemand mit weniger Motivation, weniger Ausbildung und vor allem viel mehr Arbeitsstunden, damit am Ende des Monats in etwa derselbe Betrag wie beim Verkäufer auf der Gehaltsabrechnung erscheint. „Fach- und Sozialkompetenz“ ist ein Luxusproblem, das an knallharter Bezahlung gemessen schnell gelöst werden kann: Liebe Auftraggeber, stellt einfach selbst Mitarbeiter anstatt bei den Dienstleistern zu sparen. Oder bezahlt den Dienstleiser besser. So einfach ist das.

Michael Wronker

Vizepräsident des BVMS e.V.
Ich kann bisher keine neue Fach- und Sozialkompetenzen entdecken
Mir fällt die Antwort auf diese Frage auffallend schwer. Ich habe in der Branche bisher keine neuen Fach- oder Sozialkompetenzen entdecken können. Im Gegenteil. Vor einigen Tagen traf ein Kollege einen weinenden Sicherheitsmitarbeiter vor einem Baumarkt. Er, Meister für Schutz und Sicherheit, fragte den Mitarbeiter, ob er ihm helfen könne und was denn los sei. Der Mitarbeiter schilderte, dass er von seinem Chef gezwungen werde, Zwölf-Stunden-Schichten vor dem Baumarkt auszuführen. Es sei ihm nicht erlaubt, eine Pause zu machen. Er könne einfach nicht mehr. Der Kollege riet ihm zu einem Gespräch mit seinem Chef und hinterließ auch seine Telefonnummer. Einige Tage später meldete sich der Mitarbeiter und teilte mit, dass er nun wieder arbeitslos sei, weil sein, nun ehemaliger, Chef keinerlei Verständnis für ihn hätte. Als weiteres Beispiel kann die Meldung vom 16. Juni auf www.freiepresse.de herhalten. Dort finden wir den Beitrag „Wachschutzfirma betreibt Freibad-Imbiss in Lauter“. Ich frage mich, was mit dieser Branche los ist. Wo ist der Stolz, den eine so große Branche an den Tag legen sollte? Wo ist der Wille, diese Branche nach vorne zu bringen? Wir rennen immer nur den Kunden hinterher. Billiger und billiger. Der Kunde denkt, wenn es für 15 Euro pro Stunde geht, dann finde ich auch noch einen für 14 Euro. Und die Branche macht das mit. Ich möchte nicht absolut in Abrede stellen, dass es auch positivere Beispiele gibt, aber dann würden die Ausnahmen nur die Regel bestätigen.

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