Ein Mann spricht in ein Walkietalkie, er steht in einem Flur.

Wachsende Aggression gegen Sicherheitsleute

Zum Auftakt der zweiundfünfzigsten Runde stellen wir die Frage: „Es mehren sich die Berichte über Aggression gegenüber privaten Sicherheitskräften. Woran könnte das liegen? “

Im Interview mit:


Eine kurze Einleitung:

Im Frühling dieses Jahres ereignete sich am Münchener Ostbahnhof ein bedauerlicher Vorfall, bei dem ein privater Sicherheitsmann offenbar seinen Schlagstock gegen einen 24-jährigen Kunden der Deutschen Bahn einsetzte. Der Grund für die Eskalation lag darin, dass der junge Mann aufgrund der zeitlichen Nähe zur Schließung des Kundencenters daran gehindert wurde, ein Deutschlandticket zu erwerben. Ob der Vorfall exakt so stattfand, wie berichtet, bleibt vorerst ungeklärt. Doch unabhängig von der konkreten Situation häufen sich in jüngster Zeit die Meldungen über Aggressionen gegenüber privaten Sicherheitskräften.

Die Frage, die sich angesichts dieser Vorfälle aufdrängt, lautet: Was könnte die Ursache für diese zunehmende Aggressivität sein? Ist die Gesellschaft generell aggressiver geworden? Liegt es an einem möglichen Mangel an angemessener Ausbildung bei den Sicherheitskräften, insbesondere im Bereich der Deeskalationsstrategien? Oder spielt der wachsende Fachkräftemangel eine entscheidende Rolle, indem Mitarbeiter eingestellt werden, die psychisch nicht ausreichend auf kritische Situationen vorbereitet sind?

Es ist von besonderer Relevanz, diese Fragen zu beleuchten, um mögliche Lösungsansätze zu entwickeln und die Sicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten. Vielleicht bedarf es einer umfassenderen Diskussion über Ausbildungsstandards und -inhalte im Sicherheitssektor sowie einer intensiven Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklungen, die zu derartigen Zwischenfällen führen könnten.

Dirk Dernbach

Geschäftsführer der SECURITAS Sport & Event GmbH & Co. KG
Mehr Vorfälle oder mehr Wahrnehmung?
Was einen früher nicht interessiert hat, das belegte man oft mit der Redewendung „Was geht es mich an, wenn in China ein Sack Reis umfällt?“ Mit dieser scherzhaft-abfällig verwendeten Floskel wollte der Sprecher die von ihm empfundene Bedeutungslosigkeit eines Themas signalisieren. Aber seien wir sachlich: Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte der Sprecher auch gar nicht mitbekommen, wenn ein Sack Reis umgefallen wäre. Das waren aber auch die Zeiten, in denen man mit Glück nur drei Fernsehprogramme empfangen konnte und die Nachrichten sich in der Regel auf 15 Minuten Sendezeit beschränkten. Seit fast 30 Jahren haben wir nun Zugriff auf das WWW, und 2007 kam mit dem ersten IPhone ein weiterer Umbruch in unserem Mitteilungsverhalten hinzu. Mittlerweile soll es in Deutschland über 60 Millionen Smartphone-Nutzer geben, somit auch 60 Millionen Menschen, die zum Großteil permanent einen Fotoapparat mit sich führen. In China und dem Rest der Welt dürfte es nicht anders aussehen, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit auch, dass die ganze Welt mitbekommt, wenn in China ein Sack Reis umfällt, auch wenn es mich persönlich nach wie vor nicht interessiert. Somit ist leicht nachzuvollziehen, dass sich Berichte, egal über was, im Laufe der Jahre vermehrt haben. Aber sind die Vorfälle wirklich mehr geworden oder bekommen wir sie nur häufiger mit? Dass sich die Gesellschaft sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht verändert hat, steht wohl außer Frage. Ob sie aber aggressiver geworden ist? Kommen wir zu den Sicherheitskräften. Grundsätzlich hatten wir noch nie so eine gute Ausbildung wie heute. Keiner klopft mehr morgens bei der Muckibude an und fragt, wer Lust dazu hat, abends im Sicherheitsdienst zu arbeiten (hoffe ich es zumindest). Aber von der Mär, dass unsere 260.000 Kolleginnen und Kollegen hochqualifizierte Sicherheitskräfte sind, sollten wir uns verabschieden. Nicht alle waren bei der Erstürmung der „Landshut“ dabei (Jüngere möchten bitte googeln) und haben danach einen Job in der privaten Sicherheitswirtschaft gefunden, zumal auch diese aus Altersgründen langsam Richtung Rente schielen. Und die Mehrheit der Verbliebenen als Fachkräfte zu titulieren, halte ich nach einer 40-stündigen Unterrichtung durch die IHK ein wenig für übertrieben. Nicht ohne Hintergedanken wurde vor einigen Jahren die dreijährige Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit ins Leben gerufen, deren Absolventen diese Bezeichnung mit Fug und Recht führen dürfen. Quintessenz? Nicht alles schwarz oder weiß sehen, es gibt auch eine Menge Grautöne!

Peter Haller

Geschäftsführender Gesellschafter der All Service Sicherheitsdienste GmbH
Die Zeiten haben sich nicht zum Positiven geändert
Den beschriebenen Fall kann ich nicht kommentieren. Insgesamt ist aber festzustellen, dass in den vergangenen Jahren der Respekt gegenüber Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und nicht zuletzt auch gegenüber privatem Sicherheitspersonal drastisch nachgelassen hat. Das scheint schon normal zu sein, wenn ein Rettungswagen bei einem Blaulichteinsatz eine Verkehrsbehinderung verursacht. Ich glaube, dass auch durch die sozialen Medien, in denen sich jeder mit Fake-Profilen anmelden kann, um dann herumzupöbeln, die Zeiten sich deutlich geändert haben. Nicht zum Positiven! Der Fachkräftemangel in der Wirtschaft und auch bei den Sicherheits-Dienstleistern führt sicherlich auch dazu, dass für zu besetzende Stellen ungeeignetes Personal eingestellt wird. Es ist ein großer Unterschied, ob der Mitarbeitende eine Baustelle bewacht oder ein Flüchtlingswohnheim. Auf Grund dessen, dass die öffentliche Hand viele dieser Aufträge nach dem niedrigsten Preis vergibt, hat der Auftragnehmer keine Möglichkeit, Geld in Schulungen der Mitarbeitenden zu stecken. Dennoch sehen wir auch hier Veränderungen. In Ausschreibungen werden Schulungen, insbesondere in der Deeskalation, gefordert und die Umsetzung überprüft. Gut so! Jedoch sollten sich die Sicherheits-Dienstleister immer im Klaren darüber sein, wofür wir da sind: Beobachten und melden. Die Mitarbeitenden werden niemals auf den Schulungsstand eines SEKs kommen – und genau das wollen wir auch nicht!

Michael Metz

Niederlassungsleiter Rhein-Main & Niederlassung Süd bei Apleona Security Services
Intensität der Schulung sowie ihre Inhalte müssen laufend angepasst werden
Ich finde eine pauschalisierte Antwort unangemessen und die Herausforderungen in diesem Zusammenhang deutlich komplexer als durch den ersten Blick wahrnehmbar. In den letzten Jahren ist die Gewaltbereitschaft gegenüber Hilfsorganisationen, Sicherheits-Dienstleistern und Organisationen enorm gestiegen. Somit steigen die Herausforderungen an alle eingesetzten Kräfte im Umgang mit „Sondersituationen“. Die Schulungsintensität sowie die entsprechenden Inhalte müssen den gewachsenen Bedürfnissen laufend angepasst werden. Wichtig zu den entsprechenden Schulungen sind vorliegende Notfallkonzepte (ein Beispiel: Unterstützung bei Konfliktsituationen), die Auswahl des geeigneten Personals für die jeweilige Position, die entsprechende Erfahrung im eingesetzten Bereich sowie die Einarbeitung durch erfahrenes Personal. Selbstverständlich verschärft der Fachkräftemangel die hier aufgeführten Maßnahmen und Auswahlkriterien. Nicht zu unterschätzen ist eine der Tätigkeit angemessene Bezahlung, auch und entscheidend durch den Kunden, aber auch die Umsetzung und Akzeptanz der qualitativ hochwertigen Konzepte. (zum Beispiel Absicherung durch weiteres Sicherheitspersonal). Die entsprechende Präsenz gibt Sicherheit, Selbstvertrauen und kann in vielen Situationen bereits zu einer Deeskalation führen, ohne viel Aufwand zu betreiben. Entsprechendes Verhalten des eingesetzten Personals kann und muss geschult werden. Wichtig dafür sind langfristige Verträge der Auftraggeber gegenüber den Auftragnehmern und der Fokus auf die Qualität und weniger auf den Preis.

Christian Schadow

Gewerkschaftssekretär und Sicherheitsexperte der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Die Verantwortung trägt der Arbeitgeber
Der genannte Einzelfall muss von zuständiger Stelle überprüft werden und kann nicht Gegenstand unserer gewerkschaftlichen Position sein. Der Fokus der Gewerkschaft ver.di liegt ausschließlich auf unseren Mitgliedern und den Beschäftigten. Hier sind verschiedene Aspekte zu beleuchten. Relevant aus unserer Sicht ist die Frage nach der Ausrüstung, Ausbildung und Bezahlung der Sicherheitskräfte. Und wie werden unsere Kolleginnen und Kollegen, die andere schützen sollen, selbst geschützt? Hier sind die Sicherheitsunternehmen gefordert. Diese müssen dafür sorgen, dass Sicherheitspersonal niemals allein unterwegs ist, ausreichende und brauchbare persönliche Schutzausrüstungen (PSA) bereitgestellt und getragen werden und dass ihre Beschäftigten entsprechend ausgebildet und bezahlt sind. Konfliktvermeidungstrainings sind sicherlich hilfreich, aber nur ein Teil der Vorbereitung für den Umgang mit gewaltbereiten Personen. Die Beschäftigten müssen auch für Situationen ausgebildet werden, die sich leider nicht konfliktfrei lösen lassen. Das alles liegt in der Verantwortung der Arbeitgeber. Die unbehinderte betriebliche Mitbestimmung der Beschäftigten sorgt dafür, dass die genannten Punkte auch eingehalten werden, was den Beruf wiederum attraktiver macht. Der in der Branche auftretende Fachkräftemangel muss dazu führen, dass Bezahlungs-, Ausbildungs-, Ausrüstungs- oder Mitbestimmungsstandards angehoben werden. Nur durch eine qualitativ hochwertige Ausbildung mit entsprechender Bezahlung und Wertschätzung der Beschäftigten wird diesem Mangel entgegengewirkt. Den Auftraggebern der Sicherheitsunternehmen muss in diesem Zusammenhang vermittelt werden, dass Sicherheit ihren Preis hat. Ein Wettbewerb, der nur über den Preis stattfindet, geht immer zulasten der Beschäftigten und führt damit unweigerlich zu weniger Sicherheit. Qualität muss angemessenen bezahlt werden. Die Beschäftigten der Sicherheitsbranche sind diejenigen, die bei steigender Gewaltbereitschaft dafür Sorge tragen, dass wir uns alle im öffentlichen Raum angstfrei bewegen können. Das verdient gesellschaftliche Anerkennung. Für alle Kritiker einmal zum Nachdenken: Was wäre im beschriebenen Ausgangsfall wohl passiert, wenn das Personal des Kundencenters der Bahn mit diesem „Kunden“ ohne Sicherheitspersonal allein gewesen wäre? Vor dem Hintergrund dieser Überlegung sollte die eigentliche Diskussion zu Sicherheitsdiensten und ihren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen stattfinden.

Bernd M. Schäfer

Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Versicherungsmakler für Sicherheits- und Wertdienst GmbH
Bessere Schulung hilft nicht weiter
Leider entwickeln wir uns immer mehr zu einem Volk von Individualisten. Jeder beansprucht Aufmerksamkeit und Respekt für seine ganz persönliche Sicht auf die Welt und lässt auch nur diese gelten. Es prallen zunehmend Intoleranzen unversöhnlich aufeinander. Und dann gibt es Sicherheitskräfte in Form der Polizei und privater Sicherheitsdienste. Steht das eigene Ego im Zentrum aller Überlegungen, so wird jeder den gemeinsamen Umgang regelnde Eingriff zu einer inakzeptablen Beschränkung der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten. Dies ist einer der Gründe für die zunehmende Gewalt gegen staatliche und private Sicherheitskräfte. Dass diese dann immer wieder nicht adäquat reagieren, ist bedauerlich. Aber es ist auch dem Umstand geschuldet, dass nicht jeder dazu bereit und ausreichend qualifiziert ist, solche handgreiflichen Konflikte widerspruchslos auszuhalten. Ich glaube nicht, dass hier verbesserte Schulung Abhilfe schafft. Es fehlt der Respekt gegenüber staatlichen und anderen Akteuren der Sicherheit. Früher war ein „Wachtmeister“ noch eine Respektsperson, und dieser Respekt wurde auch zu einem Gutteil auf Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen übertragen. Heute findet beides nicht mehr statt. Damit trifft knallharter Individualismus auf Ordnungsinstanzen, die nicht akzeptiert werden, da die eigene Freiheit beschnitten wird. Hinzu kommt ein politisch gewolltes Umfeld, was auf Deeskalation und Verständnis gegenüber dem dümmsten Klimakleber setzt statt das Recht durchzusetzen. Dadurch erhalten Spinner jedweder Couleur immer die Bestätigung, dass ihr Tun so falsch doch nicht ist. Neulich hat ein nichtbinäres Lebewesen Einlass in eine Veranstaltung verlangt, wollte sich aber weder von einem Mann noch von einer Frau des Sicherheitsdienstes durchsuchen lassen. Geht‘s noch?! Und in diesem Umfeld soll dann ein schlichter Sicherheitsmitarbeiter immer die richtige Entscheidung treffen und nicht überreagieren?! Ich rechtfertige nicht den falschen Einsatz von unangemessener Gewalt. Aber ich möchte um Verständnis für überlastete Sicherheitsmitarbeiter werben, die sich am Ende der Kette von gesellschaftspolitischen Entscheidungen mit dem befassen müssen, was schon früher hätte anders geregelt werden können.

Michael Wronker

Vizepräsident des BVMS e.V.
Wir müssen damit umzugehen lernen
Die Gründe für die wachsenden Probleme sind vielfältig und eigentlich in der Fragestellung schon gut aufgezählt. Es ist erkennbar, dass unsere Gesellschaft aggressiver wird. In meiner aktiven Zeit wurde das schon deutlich, dass die Aggressivität eigentlich mit jedem Jahr größer wurde. Was die Gründe dafür sind, lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich spielt Frustration über das eigene Leben eine große Rolle. Auch das Umfeld trägt einiges dazu bei. Darüber hinaus hat es sicher auch etwas mit der Beeinflussung durch falsche Vorbilder oder fehlende – oder falsche – soziale Kontakte zu tun. Damit müssen wir umzugehen lernen, da in den nächsten Jahren eher keine Kehrtwende zu erwarten ist. Wir müssen also die Anforderungen an die Ausbildungsprüfungen, aber insbesondere an die Grundqualifikationen erhöhen. Dass ich kein Freund der Unterrichtung gemäß § 34a GewO bin, ist bekannt. In die Sachkundeprüfung könnte man gegebenenfalls ein Rollenspiel einbauen, um den künftigen Kollegen und die künftige Kollegin zu testen. Bei der AAWID GmbH haben wir die Probleme erkannt und seit Jahresbeginn damit begonnen, eine so genannte Kommunikationswoche durchzuführen. Hier lernen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen unabhängig vom normalen Unterricht mit dem Themengebiet „Umgang mit Menschen“ den Umgang mit Situationen aus dem Alltag von Sicherheitsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Trainer sind hier Personen mit jahrelanger Einsatzerfahrung. Insbesondere lehren sie auch, was zu tun ist, wenn man auf der verbalen Kommunikationsebene nicht mehr weiterkommt. Auch das ist natürlich nur eine Möglichkeit, künftige Sicherheitskräfte auf den Dienst vorzubereiten. Die Realität ist dann noch einmal eine ganz andere Sache.

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