Blauer Himmel hinter einem Containerdorf für geflüchtete

Kriminelle Sicherheitsdienste in Berlin

Zum Auftakt der fünfunddreißigsten Runde stellen wir die Frage “Kriminelle Sicherheitsdienste – Resigniert hier das Sicherheitsgewerbe bei  oder duckt sich weg, weil die Entscheidungsträger es sich mit der öffentlichen Hand als potenziellem Kunden nicht verscherzen wollen?“

Im Interview mit:

  • Dr. Harald Olschok · Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft e.V. (BDSW) und der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW),
  • Martin Handschuh · Leiter Key Account Management der WISAG Sicherheit & Service Holding GmbH & Co. KG,
  • Dirk Faßbender · Prokurist und Leiter der KÖTTER Akademie GmbH & Co. KG,
  • Ralf Philipp · Leiter Marketing & Geschäftsentwicklung der CMD – Sicherheit und Dienstleistungen GbmH & Co. KG,
  • Julia Al Fawal · Geschäftsführerin der ToSa Security & Service GmbH & Co.KG,
  • Stefan Wegerhoff · Geschäftsführender Gesellschafter der SAW – Bildungszentrum NRW GmbH


Eine kurze Einleitung:

In Berlin sind Ende Juni die mutmaßlich illegalen Machenschaften eines kriminellen Netzwerks bekannt geworden, deren Mitglieder zum Teil als Sicherheits-Dienstleister in Flüchtlingsunterkünften eingesetzt waren. Skandalös ist aber auch die Reaktion des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) als Auftraggeber, deren Sprecherin in einem Interview bei rbb trotz gegenteiliger Faktenlage mit verschmitztem Lächeln frech versicherte, dass ihre Behörde nichts falsch gemacht habe.
Dem BDSW genügt es, Empörung zu simulieren und darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Firmen keine Verbandsmitglieder seien. Der BVMS schweigt gleich ganz dazu. Auch sonst sind die Reaktionen im Sicherheitsgewerbe eher informell statt öffentlich geblieben. Dabei war es eine ideale Gelegenheit für die Branche, mit etwas Durchhaltevermögen ein Exempel an einer Behörde zu statuieren, die – wie viele andere auch – auf die Seriosität ihrer Sicherheitsfirmen fahrlässig nicht den geringsten Wert legt, sondern sich ausschließlich am Dienstleistungspreis orientiert. Resigniert hier das Sicherheitsgewerbe oder duckt sich weg, weil die Entscheidungsträger es sich mit der öffentlichen Hand als potenziellem Kunden nicht verscherzen wollen?

Dirk Faßbender

Prokurist und Leiter der KÖTTER Akademie GmbH & Co. KG
Prüfungen der Leistungserbringung durch öffentliche Kostenträger durchaus üblich
Wenn man davon ausgeht, dass in Deutschland jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 400 Milliarden Euro durch öffentliche Auftraggeber beschafft werden, muss man zwangsläufig fast schon auch von dem einen oder anderen unseriösen Anbieter ausgehen, der sich daran schnell bereichern möchte und es sicherlich auch wird. Die Corona-Pandemie alleine hat ja schon gezeigt, wie schnell man mit etwas negativer Energie unberechtigt an öffentliche Gelder kommt. Allerdings habe ich in meinen über 25 Jahren in der privaten Sicherheitswirtschaft persönlich noch keine ausschreibende Stelle von öffentlichen Aufträgen kennen gelernt, die nicht auf eine ordnungsgemäße und vollständige Umsetzung der ausgeschriebenen Leistungen achtet. In meinem Tätigkeitsbereich sind regelmäßige Kontrollen und Prüfungen unserer Leistungserbringung durch die öffentlichen Kostenträger durchaus üblich. Ohne Kenntnis darüber, wie die internen Systeme zur Qualitätssicherung und zum Vertragsmanagements des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin aufgebaut sind – dieser Behörde hier Desinteresse, Nachlässigkeit oder gar mangelnde Aufsicht zu unterstellen, wäre äußerst vermessen von mir. Daher lasse ich aufgrund von fehlenden Detailkenntnissen diesen Teil der Fragestellung unbeantwortet.

Julia Al Fawal

Geschäftsführerin der ToSa Security & Service GmbH & Co.KG
Der Vorfall wäre die perfekte Gelegenheit gewesen
Das Problem, dass öffentliche Auftraggeber überwiegend Ausschreibungen mit dem Vergabekriterium „100 Prozent Preis“ tätigen und dass den Unternehmen diesbezüglich auch die Rückendeckung fehlt, gibt es bereits seit vielen Jahren. Ich sehe da aber in erster Linie auch nicht den BDSW oder den BVMS in der Verantwortung, sondern die Politik. Natürlich müssten die Verbände generell mehr auf dieses Problem aufmerksam machen, da wäre tatsächlich der aktuelle Vorfall die perfekte Gelegenheit für gewesen. Die öffentlichen Auftraggeber werden mit dieser Art der Vergabe ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht und fördern Unternehmen, die eben gerade nicht den Tariflohn zahlen. Zudem fehlt es an der Kontrolle der eingesetzten Mitarbeiter, ihrer Qualifikationen und der rechtmäßigen Abrechnung. Man hat das Gefühl, dass die Qualität der Auftragnehmer gar nicht zählt, sondern nur der Preis. Dabei könnte das Kernproblem mit einfachen Maßnahmen eingedämmt werden, indem zu den Ausschreibungen nur Unternehmen mit Mitgliedschaft in den Verbänden zugelassen werden und zudem die Zahlung des Tariflohns gefordert wäre. Die Verbände müssen durch ihren Einfluss versuchen, gewisse Mindeststandards in öffentliche Ausschreibungen zu injizieren!

Martin Handschuh

Leiter Key Account Management der WISAG Sicherheit & Service Holding GmbH & Co. KG
Der Lernprozess beginnt mit dem offenen Diskurs
Das Image der Sicherheitsbranche leidet natürlich unter den Vorfällen in Berlin. Die wenigen unseriösen Markteilnehmenden werfen ihre Schatten mitunter auch auf uns seriöse Unternehmen. Sicherheits-Dienstleistung ist komplex und eben auch sensibel im Auftrag der öffentlichen Hand zu betrachten. Die vermeintliche Diskrepanz zwischen dem günstigsten Angebot und dem besten Preis-/Leistungsverhältnis spiegelt sich allerdings in genau solchen Säumnissen wieder. Dabei ist es in meiner Erfahrung immer von großem Vorteil, eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen den Auftraggebenden und Dienstleistungsunternehmen anzustreben. Diese wird zu einem großen Teil über den Betreuungsschlüssel der operativen Leitung, dem Qualitätsmanagement und der Mitarbeitermotivation als auch über eine bestmögliche transparente Verwaltung angestrebt. Je höher die internen als auch externen Ansprüche für die Sicherheits- und Serviceleistungen sind, desto höher ist der Preis dafür – aber eben auch die Qualität! Die Perspektiven der Resignation oder dem Wegducken der Sicherheitsbranche gegenüber der öffentlichen Hand empfinde ich abwegig und zu kurzfristig bewertet. Die Situation ist nicht unausweichlich und auch gibt es keine gefühlte Ausweglosigkeit, im Gegenteil: Dieser Lernprozess für alle Marktteilnehmenden beginnt mit dem offenen Diskurs darüber. Der BDSW hat schon Recht, wenn er auf seine Statuten und Ziele verweist. Gleichzeitig wird der Fokus auf den Ausschreibungsprozess und die Bewertungskriterien der Angebote gelegt und nicht einzig auf niedrigsten Preis reduziert. Interessant wird dabei in Zukunft sicher auch der soziale und nachhaltige Aspekt werden. Wenn Einrichtungen der öffentlichen Hand dabei Vorbildcharakter erreichen möchten, sollten sie auf langfristige Partnerschaften mit qualitätsorientierten Unternehmen setzen statt auf das billigste mit Mindestvoraussetzungen. Diese Partnerschaften gründen sich nicht auf Wegducken, sondern auf klare Kommunikation über Vorteile und mögliche Risiken.

Dr. Harald Olschok

1992 bis 2022 Hauptgeschäftsführer der BDGW und des BDSW. Heute ist er Mitglied des KÖTTER Sicherheitsbeirats.
Zwischen der medialen Erwartungshaltung und den juristischen Fakten liegen häufig Welten
Der BDSW verurteilt die kriminellen Netzwerke im Kontext mit der Bewachung Berliner Flüchtlingsunterkünfte aufs Schärfste und distanziert sich mit allem Nachdruck von diesen Unternehmen und derartigen kriminellen Praktiken. Wir ducken uns nicht weg und wir resignieren auch nicht. Wir werden uns aber nicht auf Grund von Pressemitteilungen vorschnell öffentlich äußern. Zwischen der medialen Erwartungshaltung beziehungsweise auch Vorverurteilung und den juristischen Fakten liegen häufig Welten. Aktuelles Beispiel: Vor fast sieben Jahren führten die Misshandlungen von Flüchtlingen in einer Unterkunft im nordrhein-westfälischen Burbach zur größten medialen Herausforderung in meiner fast 30-jährigen Tätigkeit. Über mehrere Wochen wurde die Branche von (fast) allen Medien massiv angegriffen. Die Gewerbeordnung wurde überarbeitet. Vor wenigen Wochen, am 7. Juli 2021, wurden drei beteiligte Sicherheitsmitarbeiter wegen einer Freiheitsberaubung zu einer Strafe zwischen 900 und 3.500 Euro verurteilt. Auch für die Zukunft sind Missstände nicht auszuschließen, wenn Ausschreibungskriterien und Vergabeentscheidungen unzureichend sind und die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen nicht kontrolliert werden. Bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge wird regelmäßig einzig und allein der niedrigste Preis als Kriterium herangezogen. Billigstanbieter mit schlecht ausgebildetem Personal und intransparentem Geschäftsgebaren werden engagiert und später auftretende Unregelmäßigkeiten beklagt. So werden die seriös gierenden Unternehmen der Branche unverschuldet in Misskredit gebracht. Vor über 20 Jahren haben wir auf der Berliner Sicherheitskonferenz gemeinsam mit unserem europäischen Verband CoESS und der Spitzenorganisation der europäischen Gewerkschaften den Leitfaden „Auftragsvergabe für qualitätsvolle private Sicherheitsdienstleistungen“ vorgestellt. Vor kurzem haben UNICEF und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den aktualisierten Leitfaden „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ herausgebracht. Material, das bei der Vergabe zur Anwendung gebracht werden kann, ist reichlich vorhanden. Dies muss nun in dem von uns geforderten Sicherheitsdienstleistungsgesetz in der nächsten Legislaturperiode verbindlich vorgeschrieben werden.

Ralf Philipp

Leiter Marketing & Geschäftsentwicklung der CMD – Sicherheit und Dienstleistungen GbmH & Co. KG
Das Landesamt stand wohl vor einer Schüssel M&M‘s
Die Diskussionen um schwarze Schafe im Bewachungsgewerbe erinnern mich immer an die Filme eines französischen Schauspielers: „Non? Si! Oh!“ bei uns besser bekannt als „Nein? Doch! Oh!“ „Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sieht keine systematischen Fehler….“ Auch diese Aussage könnte aus einer dieser Komödien der 1970er Jahre stammen. Es ist ja nicht so, dass die Ausschreibungen der öffentlichen Hand von Qualität und Verbindlichkeit getrieben sind und diese zugunsten der Qualität gerne einen höheren Preis akzeptieren, um die Gewissheit zu haben, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Tatsächlich geht es in der Regel nach dem „Best-Price-Prinzip“: Der Billigste gewinnt. Auch das ist grundsätzlich möglich, wenn man auch Zeit in die Kontrolle investiert. Oder wie Jana Borkamp vom LaF sagte: Es gebe ein System der Qualitätssicherung und des Vertragsmanagements. Dann ist ja alles gut? Eher nicht, denn hätte man im laufenden Betrieb bei den Vorbereitungen eines Audits sich mit dem „Netzwerk“ vertraut gemacht, wäre man zwangsläufig über viele Fragen gestolpert. Ob man die Recherche via Internet zum Beispiel über Northdata oder Bisnode (-> D-U-N-S) angegangen wäre, spielt dann keine Rolle. Man hätte stutzig werden müssen. So viel zum Vertragsmanagement und seiner Kontrolle. Wieso man über Jahre nicht in der Lage ist, massive Mängel in Qualität und Dienstausübung zu erkennen, steht auf einem anderen Blatt. Wie sah dieses „System der Qualitätssicherung und des Vertragsmanagement“ denn eigentlich genau aus? Effektiv und regelmäßig kann es schon mal nicht gewesen sein, denn anders ist nicht zu erklären, wie fehlendes Personal abgerechnet werden konnte und ohne Zuverlässigkeit im Einsatz sein konnte. Und wieso sind fehlende Qualifikationen oder fachliche Voraussetzungen nicht aufgefallen? Und das alles über Jahre. Eine interessante Variante der „Qualitätssicherung und des Vertragsmanagement“ des Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Wieso gab es keine Kontrollen der Qualität vor Ort, wieso keine Audits, bei denen Unterlagen und Daten geprüft wurden. In Zeiten des Bewachungsregisters sind Sachverhalte wie fehlende Zuverlässigkeit oder fehlende Qualifikation doch zu verhindern. Auf jeden Fall einfacher zu verhindern als klassischer Abrechnungsbetrug. Es kommt einem fast vor wie eine Schüssel M&M’s: Sie wird bis zum Rand gefüllt und auf den Tisch gestellt, Selbstbedienung ist verboten. Die Anzahl der M&M‘s in der Schüssel wird nie überprüft. Und erst wenn einer so gierig ist, dass er die Schüssel umkippt, wird man misstrauisch. Ich stelle mal die Theorie in den Raum, dass diese Schüssel bei vielen Auftraggebern der öffentlichen Hand und ihren Unternehmen auf dem Tisch steht.

Stefan Wegerhoff

Geschäftsführender Gesellschafter der SAW – Bildungszentrum NRW GmbH
Warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist
Mir sind zu diesem Vorfall keinerlei Hintergründe bekannt. Ich kann mir somit kein Urteil zur konkreten Situation bilden. Allerdings durchaus darüber, ob Behörden unseriös oder „absichtlich lässig“ arbeiten. Ich kenne die Sicherheitsindustrie nun schon seit 25 Jahren und beobachte wirklich immer das gleiche Schema. Viele neu gegründete Firmen erscheinen im Markt und verschwinden ebenso schnell wieder. Das mag vielerlei Gründe haben. Ob eine Verschleierungstaktik dahintersteckt, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Auflagen, eine Bewachungserlaubnis zu erhalten sind, mittlerweile, schon sehr gut und durchdacht und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diesen Prozess jemand vollzieht, um „mal eben“ ein paar Euro abzugreifen und dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. So etwas ließe sich viel einfacher in anderen Branchen abwickeln, bei denen die Auflagen nicht so hoch sind. Problematisch finde ich allerdings die Zeit, die vergeht, bis eine Behörde reagiert. Grundsätzlich sind unsere Behörden in vielen Dingen sehr, sehr langsam und „formaljuristisch“ unflexibel. Die zuständige Stelle, die sich bei rbb24 dazu äußerte, wird selbstredend niemals auf diese Art ein „Fehlverhalten“ einräumen, wenn es denn eines gegeben hat. Dieses Verhalten kennen wir ja auch aus der Politik und von Presseberichten der Polizei beziehungsweise fast allen Behörden. Mittlerweile trifft NIEMAND mehr Entscheidungen – denn die Folgen von Amtsvorgängen oder Verwaltungsakten haben meist eine Kehrseite. Einfacher ist es, solche Dinge vor sich herzuschieben, bis Gras über die Sache gewachsen ist.

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