Techniklösungen im Sicherheitsgewerbe

Zum Auftakt der einundvierzigsten Runde stellen wir die Frage: „Techniklösungen in der Sicherheitsbranche – besteht die Hoffnung, dass sich Geschäftsmodelle in der Branche wandeln?“

Im Interview mit:


Eine kurze Einleitung:

Technik – war da was? Schon viele Jahre diskutiert das Sicherheitsgewerbe darüber, dass im Zuge der Digitalisierung personelle Dienstleistungen mit technischen Lösungen innovativ kombiniert werden sollen. Ein bisschen Videoüberwachung hier, ein bisschen Alarmanlage da – mehr hat die Branche offensichtlich nicht auf dem Kasten. Stattdessen hat sie es sogar geschafft, das Digitalisierungs-Schneckentempo der vorherigen und der jetzigen Bundesregierung noch zu unterbieten. Dabei ist gerade jetzt, da extremer Fachkräftemangel herrscht, doch eigentlich der ideale Zeitpunkt, um die Geschäftsmodelle zu wandeln. Stattdessen – Mannstundenverkauf, wohin das Auge reicht. Besteht eigentlich Hoffnung, dass sich das jemals ändert? Und wenn ja, woher nehmen Sie den Optimismus?

Wenn Du noch mehr zum Technikeinsatz in der Sicherheitsbranche wissen willst, schau in die Rubrik Technik in unseren Impulstexten. HIER

Julia Al Fawal

Geschäftsführerin der ToSa Security & Service GmbH & Co.KG
Der Durchbruch ist noch nicht festzustellen
Digitalisierung soll Prozesse optimieren und die Kostenanteile manueller menschlicher Arbeit senken. Zwei Aspekte, die angesichts der derzeit herrschenden Personalinflation im Sicherheitsgewerbe hilfreich sind. Ich persönlich kann primär über die Situation im Veranstaltungsschutz sprechen. Tatsächlich lässt sich da in Bezug auf das operative Geschäft bestätigen: „ein bisschen Videoüberwachung hier und ein bisschen Alarmanlage da“. Der Durchbruch, der Personal einspart, ist da noch nicht in Erscheinung getreten. Wir haben uns damit schon beschäftigt und nach Lösungen in Bezug auf Videoüberwachung mit integrierten Durchsage- und Alarmmöglichkeiten gesucht. Aber dies scheiterte meist daran, dass die vorhandenen Möglichkeiten für eine temporäre Installation auf einem Veranstaltungsgelände zu kostenintensiv oder auch noch nicht ausgereift genug sind. Oftmals wirken die hochpreisig vermarkteten Systeme eher wie Prototypen. Anders sieht es im administrativen Bereich aus. Da hat sich in den vergangenen Jahren Vieles getan, wodurch auch die personellen Ressourcen entlastet werden. Die digitale Dienstplanung mittels App, digitale Berichte für den Objektschutz, Auslesemöglichkeiten der Kontrollpunkte für Kunden der Revierdienste – das klingt alles nach kleinen Schritten, die uns aber den Arbeitsalltag sehr erleichtern. Diesbezüglich bin ich optimistisch, künftig noch weitere Entlastung durch digitale Systeme zu erhalten!

Florian Graf

Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft e.V. (BDSW) und der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW)
Die Kunden müssen Technik auch wollen!
Das Thema Digitalisierung hat auch in der privaten Sicherheitswirtschaft immer (mindestens) zwei Seiten. Es reicht nicht, dass die Sicherheits-Dienstleister neue technische Optionen anbieten können – die Kunden müssen diese auch nutzen beziehungsweise abnehmen wollen und können. Oft kommen dann noch bauliche oder örtliche Begebenheiten hinzu, die den Einsatz von Technik beeinflussen, erschweren oder sogar verhindern. Zudem gibt es viele Tätigkeitsbereiche im Sicherheitsgewerbe, in den der Einsatz von Technik bisher weiterhin nur bedingt bis gar nicht möglich ist. Beispielsweise in Flüchtlingserstaufnahmen, Wohnheimen oder ähnlichen Einrichtungen können sie die Beschäftigten nicht komplett durch Technik ersetzen. Von solchen Einsatzorten und Tätigkeiten, die nur durch den Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort ausgeführt werden konnten, gibt es weiterhin viele. Auch bei den in den letzten Jahren hinzugekommenen Aufgaben der Sicherheits-Dienstleistung rund um Corona – beispielsweise bei den Kontrollen von Corona-Auflagen – sind technische Lösungen oft keine Option gewesen, sei es aufgrund der Kurzfristigkeit oder auch Art der Tätigkeit selbst. Neben dem technischen Fortschritt und den grundsätzlich stetig sinkenden Kosten für technische Lösungen darf der Faktor Personal auch in der Digitalisierung aber grundsätzlich nicht außer Acht gelassen werden. Die vorhandene Technik muss benutzt, gewartet und repariert werden können. Hierzu bedarf es künftig Beschäftigter mit anderen Fähigkeiten und Schwerpunkten als bisher. Viele Dienstleister erweitern ihr Portfolio an technischen Lösungen oder Unterstützungen bereits stetig, und das Interesse sowie die Akzeptanz der Kunden wird sich – nicht zuletzt zwangsläufig durch die absehbar immer angespanntere Beschäftigtensituation in Deutschland – verändern müssen.

Martin Handschuh

Leiter Key Account Management der WISAG Sicherheit & Service Holding GmbH & Co. KG
Das Smartphone ist der Schlüssel
Ich finde es sehr interessant, dass in der sehr spitzen Formulierung der Ausgangsthese unterschwellig ein Vorwurf an das Sicherheitsgewerbe formuliert ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es dabei nicht primär an den Dienstleistern liegt. Ich selbst kann hier nur aus meinem Erfahrungsschatz schöpfen und behaupten, dass es innerhalb der letzten zehn Jahre allemal große Fortschritte gegeben hat, was die Digitalisierung innerhalb der Sicherheitsbranche angeht, die allerdings Investitionen benötigen. Dabei ist es nur verständlich, dass bei einem solch sensiblen Thema die Gesprächsbereitschaft der Kundschaft eher gering ist – und womöglich auch ihre Erfahrungen nicht die besten waren, weshalb sie nach dem Motto „never change a running system“ lieber mehr oder weniger bewährte Leistungsverzeichnisse stricken. Außerdem assoziieren die meisten mit Sicherheitstechnik ausschließlich Kameras und Alarmanlagen, die ja nur einen Bruchteil der Produktpalette ausmachen. Da liegt es am jeweiligen Dienstleister, der Kundschaft Innovationen, ganzheitliche Sicherheitskonzepte und Vorteile zu präsentieren. Die Dankbarkeit bei identifiziertem Einsparpotenzial bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung ist dabei enorm. Hinzu kommt, dass sich die Infrastruktur in den letzten Jahren merklich verbessert hat und es einen regelrechten „Durst“ auf Transparenz gibt. Mittlerweile möchte jeder Auftraggeber zu jedem Zeitpunkt wissen, ob es sicherheitsrelevante Vorkommnisse gibt oder präventiv gewährleisten, dass diese erst gar nicht entstehen – am besten unkompliziert vom Smartphone aus. Das sind Prozesse, die im ersten Moment weniger mit Sicherheitstechnik zu tun haben, jedoch eine weitreichende Bedeutung in der gesamten Dienstleistung finden.

Ralf Philipp

Leiter Marketing & Geschäftsentwicklung der CMD – Sicherheit und Dienstleistungen GbmH & Co. KG
Die Technikspezialisten der Dienstleister setzten Spinnweben an
Glücklicherweise ist das Sicherheitsgewerbe nur indirekt von der Digitalisierung des Bundes oder der Länder abhängig. Da, wo sie es ist, da leidet sie – siehe zum Beispiel die „technische Meisterleistung“ Bewachungsregister, bei dem man sich knapp drei Jahre nach der Einführung langsam mehr vorkommt wie ein „Betatester“. Das Angebot an technischen Lösungen und Unterstützungen ist vielfältig, aber der operative Mitarbeiter oft noch günstiger oder nicht ohne Weiteres ersetzbar. Ein Streifengang ist nur schwer zu „technisieren“, eine mobile Kamera beispielsweise auf einem Gerät von Boston Dynamic inklusive akustischer Ansprache kann nur sehr eingeschränkt intervenieren. Und wir bewegen uns mit den Stundenlöhnen immer noch im Bereich des Mindestlohns. Es gibt Schall- und Bodenwellendetektion, Infrarotzäune, Radarlösungen, Live-Mustererkennung, Multicopter und und und. Technische Unterstützung und Lösungen sind vielfältig, aber auch hier ist in den meisten Fällen eine personelle Intervention notwendig. Die automatische Alarmierung der Exekutive ist meiner Erfahrung nach nur in wenigen Fällen sinnvoll oder möglich. Nicht zu vergessen: der Datenschutz, der viele Lösungen einschränkt oder komplett unmöglich macht – ob direkt durch gesetzliche Auflagen oder indirekt durch Arbeitnehmervertretungen, spielt keine Rolle. Alles in allem teile ich aber die in der Frage implizierte Meinung nicht. Die Branche konzeptioniert und liefert, was der Kunde im Rahmen des gesetzlichen und finanziellen Spielraums haben möchte. Ich habe schon öfter erleben dürfen, dass ein Sicherheitskonzept unter Einbindung moderner Technik effektiver wäre, aber sich erst über einen Zeitraum von mehreren Jahren finanziell für den Kunden gerechnet hätte. Die dafür vorhandenen Budgets werden aber oft nur alle zwei Jahre oder sogar jährlich festgelegt. Alles darüber hinaus ist schlichtweg nicht vorgesehen. Der Abruf technischer Lösungen ist dennoch unbefriedigend. Viele Dienstleister stehen mit ihren Spezialisten in den Startlöchern und setzen Spinnweben an. Aber das liegt – zum Glück – nicht an der (eher nicht vorhandenen) Digitalisierung des Bundes.

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